Artikel vom 16.04.2008




Den nachfolgenden Text haben wir heute an die Fraktionen des Landtages von Sachsen-Anhalt übermittelt. Dort wird keine allzu große Begeisterung herrschen, sich mit dem Problem "Kommunalabgaben" erneut zu befassen. Immerhin weist ein Antrag des Abgeordneten Wulf Gallert vom 08.04.08 auf die Problematik hin. Hier nun der Text unseres Schreibens:

"Steigende Abgaben und sinkende Realeinkommen bereiten den Einwohnern von Sachsen-Anhalt zunehmend Sorgen. Unmut und Widerstand regt sich dort, wo auf besonders drastische Weise auf das Vermögen der Bürger zugegriffen wird: Das ist der gesamte Bereich der Kommunalabgaben. Nicht selten werden von den Bürgern Existenz bedrohende Beiträge für Straßenausbau und Abwasser abverlangt. Die Gebühren für die Abwasserentsorgung sind in Schwindel erregende Höhen gestiegen ohne Aussicht auf ein Ende. Die Medien nehmen sich zunehmend der Thematik an (Frontal 21 am 15.04.08 zu ähnlichen Problemen in Brandenburg, "Umschau" und vor kurzem und Escher demnächst erneut im MDR)

Die Rechtssprechung des Landes erfindet immer neue Wege, um die Bürger unter Umgehung rechtsstaatlicher Hindernisse nach Belieben und ohne jede zeitliche Begrenzung auch rückwirkend zur Kasse bitten zu können. Vertrauensschutz und Rechtssicherheit sind für die Bürger des Landes zu einem Fremdwort geworden.

Wussten Sie, dass nach dem KAG-LSA und der Auffassung des OVG Sachsen-Anhalt

• Gebühren- und Beitragssätze gar nicht anhand einer Kalkulation erstellt werden
müssen, sondern erst einmal aus der Luft gegriffen werden dürfen?

• Klagende Bürger aber die Unrichtigkeit eines solchen kalkulationsfreien
Abgabensatzes schon in der Klage detailliert darlegen und beweisen müssen?
Haben Sie eine Idee, wie ein solcher „kalkulationsfreier“ Abgabensatz argumentativ
angegriffen werden kann oder teilen Sie die Auffassung einiger Gerichte, der Bürger
könne doch selbst durch einen Sachverständigen eine Globalkalkulation erstellen
lassen (Kosten ca. 25.000.- €) deren Kosten er im Obsiegensfall ja erstattet erhalte?

• Verbände und Gemeinden erst in einem solchen Klageverfahren nur aus
prozessualen Gründen überhaupt ein eigenes Rechenwerk vorzulegen haben, dies
noch bis in die zweite Instanz hinein tun können, dieses beliebig oft berichtigen dürfen
und den Prozess trotzdem gewinnen, wenn der gegriffene Satz „zufällig“ rechnerisch
im Rahmen des Aufwandsüberschreitungsverbotes bleibt (Ergebnisrechtsprechung)?

• Die gewählten Gremien in den Kommunen damit ihrer Entscheidungskompetenz und
Verantwortung beraubt werden und die Kontrolle und Prüfung der Abgabensätze von
den Gremien an die Richtertische verlagert wird? Ist das wirklich so gewollt?

• Verbände und Gemeinden auch noch nach Jahren oder Jahrzehnten einmal
zugestellte und längst bezahlte und rechtskräftig gewordene Beitragsbescheide
ergänzen und für dieselbe Baumaßnahme nach vielen weiteren Jahren erneut Kosten in Rechnung stellen dürfen,
wenn sich herausstellt, dass der ursprüngliche Beitragssatz zu niedrig kalkuliert war?

• Dass die Verjährungsfrist bei den leitungsgebundenen Einrichtungen frühestens mit
dem Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung beginnt, die auch noch Jahre oder
Jahrzehnte nach Abschluss einer Kanalbaumaßnahme erlassen werden kann, wobei
dann niemand weiß, ob eine solche Satzung dann wirklich wirksam ist, weil auch nach
vielen Jahrzehnten noch ein Gericht einen Fehler finden und die Satzung für ungültig
erklären kann, selbst wenn einmal in der Vergangenheit ein anderes Gericht die
Satzung für rechtsgültig gehalten haben sollte. Ist es nicht unhaltbar, dass damit kein
Bürger mehr wissen kann, ob und wann ein Abgabenanspruch jemals wirklich
abschließend verbindlich und unangreifbar geworden oder verjährt ist? Leben wir
etwa in einer Bananenrepublik?

• Wissen Sie, dass auf diese Weise Rechtsinstitute wie die Verjährung, Verwirkung, das
Verbot der (echten) Rückwirkung weitgehend außer Kraft gesetzt sind und der im
Abgabenrecht vorherrschende Grundsatz der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit
Makulatur ist? Finden Sie in Ordnung, dass im Land Sachsen-Anhalt für den Bürger
praktisch keine Rechtssicherheit mehr im Abgabenrecht mehr besteht?

Mehrere Bürgerinitiativen haben sich nun zu dem landesweiten Netzwerk „INKA“ (Initiativennetzwerk Kommunalabgaben in Sachsen-Anhalt) zusammengeschlossen und ein Maßnahmenpapier verfasst (Lauchstädter Erklärung), das ich in der Anlage beifüge.
Die Sache ist dringlich. In vielen Gemeinden und Verbänden kippt die Stimmung der Bürger. Denn es werden jetzt nicht nur die Forderungen der Kommunalaufsicht nach rückwirkendem Erlass von Strassenusbaubeitragssatzungen für den Zeitraum 1991 bis 1996 erhoben und umgesetzt, sondern wir registrieren zugleich eine zunehmende Tendenz zu Beitragsnacherhebungen für in der Vergangenheit zu niedrig veranschlagte Beitragssätze im Abwasserbereich. Gleichzeitig explodieren die Gebühren (jüngstes Beispiel: AZV Bodeniederung mit 6,16 €/m³ und nach oben offenem Ende).

Bitte ignorieren Sie die Problematik nicht, auch wenn es sich hier um kein „dankbares“ Thema handelt.

Wir sehen Ihrer Stellungnahme zu unserem Papier gerne entgegen."

Wolf-Rüdiger Beck
(Sprecher der INKA)