Artikel vom 21.08.2008




Stuttgart - Jahrelang galt es für Städte und Gemeinden als unchic, ihre Bürger selbst mit Trinkwasser zu versorgen. Privatfirmen erledigten das. Jetzt besinnen sich Kommunen in ganz Europa auf alte Traditionen. Auf das Wassergeschäft rollt eine Rekommunalisierungwelle zu, die jetzt auch nach Deutschland schwappt.

Den Parisern steht das Wasser bis zum Hals. Über Jahre waren die Wasserpreise in der französischen Hauptstadt gestiegen. Ende 2007 platzte dem sozialistischen Bürgermeister der Metropole, Bertrand Delanoë, dann der Kragen: "Jetzt geht es darum, den Wasserpreis wieder zu stabilisieren. Zum Vorteil der Bürger." Gerichtet war die Ansage an die privaten Wasserversorger der Stadt, die Giganten Veolia und Ondeo. Über Jahre sei es den Konzernen nicht gelungen, Wasserpreise und Investitionen in die Infrastruktur in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen. Die Folge: Ab 2010 wird die Wasserversorgung wieder Sache der Pariser Stadtwerke sein. Die Stadtväter haben die Privaten vor die Tür gesetzt.

Paris ist kein Einzelfall. Eine ganze Reihe von Kommunen geht derzeit dazu über, Privatkonzernen bei der Versorgung ihrer Bürger den Laufpass zu geben. Gründe sind neben der Frage der Verlässlichkeit der Partner oft zu hohe Wasserpreise und zu geringe Investitionen.

Während der letzten zehn Jahre haben allein in Frankreich rund 40 Städte und Gemeinden ihre Wasserversorgung wieder in die eigene Hand genommen. In Italien haben Bürgerinitiativen dem römischen Parlament jüngst eine Liste mit über 400.000 Unterschriften übergeben, in der sie die Verstaatlichung der Wasserversorgung fordern, und in den USA rückten Städte wie Atlanta oder die kalifornischen Gemeinden Montara und Felton von den Privaten ab.

So weit ist das Misstrauen der Kommunen gegenüber den Privaten gediehen, dass die Experteninitiative Water Remunicipalisation Tracker von einer "Rekommunalisierungswelle bei der Wasserversorgung" spricht, die die ganze Welt erfasst habe. Die Aussage lässt aufhorchen, ging der Trend bis vor wenigen Jahren doch noch in die umgekehrte Richtung. Anfang der 90er Jahre schien es, als würde der Bereich der Daseinsvorsorge bald zum Großteil von Privatkonzernen gemanagt und nicht mehr vom Staat.

Rosemarie Folle vom Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) spricht in diesem Zusammenhang von einer damals vorherrschenden Doktrin, die "den Privaten alles, dem Staat nur wenig" zugetraut habe. Mittlerweile habe sich das aber geändert. "Bei den Kommunen ist gesundes Selbstvertrauen eingekehrt", sagt Folle.

Tatsächlich sind in den letzten Jahren auch in Deutschland, wo noch über 90 Prozent der Wasserversorgung in kommunaler Hand sind, mehrere Städte und Gemeinden dazu übergegangen, sich ihr Tafelsilber wieder zurückzuholen. Bereits im Jahr 2000 hat sich etwa Potsdam von einer 49-Prozent-Beteiligung der Suez-Tochter Eurawasser getrennt. Noch einen Schritt weiter gingen Dortmund und Bochum. Kurzerhand kauften sie den damals größten privaten Wasserversorger Deutschlands, Gelsenwasser, Ende 2003 auf.

In mehreren Kommunen, so Folle, würde derzeit eine Rekommunalisierung diskutiert. In Stuttgart etwa, wo die Energie Baden-Württemberg (EnBW) seit 2002 die Herrin über das Nass ist, hat die SPD-Gemeinderatsfraktion jüngst einen Antrag mit dem Ziel eingebracht, das Leitungsnetz von dem Karlsruher Versorger zurückzukaufen. Grund ist auch hier die Sorge andernfalls den Einfluss auf die Preisgestaltung zu verlieren. Im Auftrag der Stadt beobachtet zudem ein Jurist "Gestaltungsmöglichkeiten" bei dem Thema.

Unterstützt wird der Trend, die Konzerne außen vor zu lassen, bizarrerweise durch EU-Wettbewerbsrecht. Dieses schreibt den Kommunen unter bestimmten Umständen nämlich vor, bei Ablauf eines Versorgungsvertrags eine europaweite Neuausschreibung durchzuführen. Viele Kommunen scheuen es aber, "den ganzen Markt zu befragen", weil sie fürchten, sich einen unbekannten Partner ins Boot holen zu müssen, sagt Bernd Düsterdiek vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Gerade in Stuttgart ist das zurzeit ein großes Thema. Die Entscheidung zur 100-prozentigen Rekommunalisierung minimiere aus Sicht vieler Schultes die Gefahr, sich ein Kuckucksei ins Nest zu holen. "Rückholaktionen werden daher häufiger", sagt Düsterdiek.

Nicht überall sind die Kommunen allerdings mit den Privaten unzufrieden. Allein der französische Wasserweltmarktführer Veolia managt für 450 deutsche Gemeinden die Wasser- bzw. Abwasserversorgung.

Viele dieser Kooperationen klappen gut. Gerade kleinere Gemeinden schätzen das Know-How, das die Großkonzerne in die Wasserbe- und verarbeitung einbringen. Die Rostocker Trinkwasserversorgung etwa wird seit Anfang der 90er Jahre von Eurawasser bereitgestellt. Das Unternehmen hielt die Preise weitgehend stabil und investierte in das zuvor marode Leitungsnetz.

Selbst privatisierungskritische Wissenschaftler wie Ernst Ulrich von Weizsäcker loben das Suez-Engagement in der Ostsee-Metropole mit den knappen Worten: "Hohe Wasserqualität, hohe Investitionen." Nach einer Phase relativ unkritischer Privatisierungsbegeisterung, die oft als Ausweg aus dem drohenden Finanzkollaps gesehen wurde, würden die Kommunen heute besonnener agieren, sagt Verbandsfunktionär Düsterdiek. Insbesondere hätten sie gelernt, die Verträge mit privaten Partnern genau zu durchleuchten und etwa Mindestschwellen für Investititonen oder faire Regelungen bezüglich der Gewinne festzulegen.

Berlin hat da Nachholbedarf, wie Kritiker meinen. Als die notorisch klamme Stadt 1997 die Versorger RWE und Veolia für rund 1,7 Mrd. Euro mit knapp 50 Prozent an den einstmals kommunalen Berliner Wasserbetrieben beteiligte, versüßte sie den Investoren ihr Engagement mit einer De-facto-Renditegarantie von sechs Prozent auf das "betriebsnotwendige Kapital". Trotzdem stiegen die Wasserpreise über die Jahre erheblich. Mehrere Bürgerinitiativen kämpfen daher seit gut einem Jahr darum, die Privaten wieder aus dem Geschäft zu drängen. Würde das Vorhaben gelingen, hätte die Rekommunalisierungswelle wieder etwas an Fahrt gewonnen.

Walter Rosenberger (Stuttgarter Nachrichten)

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