Artikel vom 14.10.2008




Norbert Lohrke, ein Diplom-Volkswirt, der ein Online-Portal für Anleger betreibt, schreibt zur aktuellen Finanzkrise:

"Zu einer vernünftigen sozialen Marktwirtschaft gehören auch eine stabile Rechtsordnung und funktionierende Aufsichten. Die Wartezeit auf einen Landgerichtstermin in Deutschland von einem halben bis zu über einem Jahr ist das Gegenteil dessen. Und die Unterversorgung der Kriminalpolizei und Gerichte in Wirtschaftsstrafsachen schreit zum Himmel. Und wo sind die Anpassungen am Kreditwesengesetz? Wo der Hinweis auf eine Neuordnung der Aufgaben der BaFin? Wo eine Verschärfung der Haftung? Wo eine Änderung der unsinnigen Systeme in den Banken? Von alledem höre ich und lese ich nichts. Und weiss die Kanzlerin eigentlich, dass Vorstände in diesem Lande vor einem deutschen Gericht wegen Sorgfaltspflichtverletzungen so gut wie nicht verurteilt werden? Warum eigentlich?"

Man könnte die Argumentationslinie fortsetzen. Auch die Wartezeiten an den Verwaltungsgerichten schreien zum Himmel. Und während die Bankrotteure der Weltwirtschaft weitgehend unbehelligt bleiben, verfolgt der Staat mit geradezu grotesker Härte diejenigen, die für Augenmaß und Vernunft in kommunalen Angelegenheiten eintreten. An Händen und Füssen wird in Briesensee/Brandenburg eine alte Frau durch ein Einsatzkommando der Polizei von ihrem Grundstück getragen, weil ihr Vergehen darin bestand, ihr bestens funktionierende Pflanzenkläranlage nicht an die Zentralkanalisation und damit an ein ohnehin schon überlastetes Klärwerk anzuschließen. Und im Saalekreis werden ehrenamtlich tätige Kommunalpolitiker über Jahre strafrechtlich verfolgt, weil sie im Interesse ihrer Bürger handelten.

Seit Jahren schwebt hier ein Damoklesschwert über Bürgermeistern und Gemeinderäten. Geld- oder Gefängnisstrafen drohen. Vorgeworfen wird ihnen, im Jahre 2001 Straßenausbaumaßnahmen in Auftrag gegeben zu haben, ohne zuvor über den Erlass von Satzungen für die Umlagefähigkeit dieser Maßnahmen auf die Bürger gesorgt zu haben.
Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Verfahren den neun angeklagten Ratsmitgliedern im Alter von 36 bis 70 Jahren Untreue zum Nachteil der Kommune vorgeworfen. 2001 sollen sie dem rechtswidrigen Ausbau einer Straße zugestimmt haben. Es soll nicht geregelt gewesen sein, wie die Einwohner finanziell daran zu beteiligen sind. Dabei ging es um 180 000 Euro.
Die Gemeinderäte hatten argumentiert, sie hätten im Interesse der Gemeinde und der Bürger gehandelt. Für den Ausbau der Straße hätten außerdem Mittel des Arbeitsamtes zur Verfügung gestanden. Der Abwasserzweckverband wollte in der Straße neue Leitungen verlegen. In dieser Situation wollte der Gemeinderat nicht bis zum Vorliegen einer Satzung warten. Er sei davon ausgegangen, dass in jenem Moment eine Entscheidung getroffen werden musste. Das Amtsgericht hatte im April 2006 die Gemeinderäte vom Vorwurf der Untreue freigesprochen und das von der Staatsanwaltschaft hiergegen eingelegte Rechtsmittel war vom Landgericht Halle verworfen worden. Das Oberlandesgericht Naumburg sah das aber anders. Es hatte Mitte vorigen Jahres die Freisprüche des Amtsgerichts und des Landgerichts Halle aufgehoben und die Sache zur Neuverhandlung zurückverwiesen. Das Landgericht Halle bestimmte nun den Termin zur Neuverhandlung. Kurz vor Weihnachten soll das Verfahren beginnen und voraussichtlich am 07.01.2009 beendet sein. Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für die nervlich ohnehin schwer belasteten Politiker, die sich kriminalisiert sehen und erklären, wenn Sie gewusst hätten, mit welchen Risiken so ein Ehrenamt behaftet ist, dann hätten sie sich niemals wählen lassen. Risikoloser ist es offenbar, Bankmanager zu sein. Und lukrativer obendrein.
Ein ehemaliger Bundesrichter (Driehaus) heizt die Debatte auch noch an und plädiert für eine Bestrafung der Kommunalpolitiker. In einem jüngst erschienenen Aufsatz in der Kommunalen Steuerzeitschrift 2008, S. 104 legt er dar, dass es nicht angehe, dass sie Verantwortlichen in der Gemeinde sich solche Freiheiten nehmen würden. Wer ein öffentliches Amt innehat und bei den Bürgern nicht alles, was beitrags- und gebührenrechtlich möglich ist, eintreibe, der mache sich strafbar und „gehört ins Gefängnis“, denn – so der Autor ausdrücklich – die öffentliche Hand dürfe schließlich nichts verschenken. Driehaus ist es auch, der ganz maßgeblich der Beitragserhebungspflicht das Wort redet und der Nacherhebungspflicht für zu niedrig veranschlagte Beiträge. Aufsätze und Kommentierungen haben die Rechtsprechung über Jahre beeinflusst. Die Folge war, dass das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen in abgabenrechtlichen Angelegenheiten zu Makulatur wurde, und wirkliche Freiheiten für die Entscheidungsträger in Sachsen-Anhalt nicht mehr bestehen. Dafür haben sich deren Risiken drastisch erhöht. Das sollte jedem Bürgermeister und jedem Abgeordneten klar sein. Der Dienst an der Allgemeinheit ist zum Vabanquespiel geworden. Denn offenbar ist es von höherer Warte aus gesehen nicht erwünscht, Bürgerinteressen zu vertreten. Ganz anders dagegen die Lesart, wenn es darum geht, an das Geld der Bürger zu gelangen. Hier räumt Driehaus und mit ihm die Rechtsprechung den Kommunen äußerst weite Kalkulationsspielräume ein. Der Bürger hat für Überkapazitäten und Fehlplanungen im Ergebnis und in aller Regel geradezustehen. Zu Recht schreibt Schacht in seinem „Kommunalfenster“:
„Manche Richter scheinen eigenartige Entdeckungen zu machen. Wenn es um das Vermögen der Bürger geht, gibt es weite Spielräume und lasche gerichtliche Kontrollen. Wenn es um das sogenannte kommunale und das Gemeinschaftsvermögen geht, sollen ganz andere Maßstäbe gelten. Da muss man jeden Cent eintreiben und vielleicht noch Nacherhebungen anstellen, wenn man später merkt, dass man mit dem ursprünglich vereinnahmten Geld nicht auskommt. Im Abwasserzweckverband Schmerzbach in Sachsen-Anhalt können die Bürger davon ein Lied singen. Sie haben nach weit über 10 Jahren der Erstbescheidung solche Nacherhebungen erhalten. Wenn jetzt der Satz gilt, wer nicht bis auf den letzten Cent nacherhebt, der kommt ins Gefängnis, dann weiß man, worauf man sich einzustellen hat.“

Wolf-R. Beck

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