Artikel vom 20.04.2009




Das Verwaltungsgericht Halle hat bestimmte Passagen der Gebührensatzung des AZV Südharz für unwirksam erklärt. Erneut bescheinigen die Gerichte damit einem Abwasserzweckverband, Gebühren zu Unrecht erhoben zu haben. Die Entscheidung des Gerichts betrifft die Nutzer von Kleinkläranlagen, die als "Teileinleiter" in die Bürgermeisterkanäle einleiten. Diesen wurde vom Verband neben der Einleitungsgebühr von 1,28 € je m³ noch eine Grundgebühr von 7,06 € in Rechnung gestellt. Obwohl das Gericht schon im Oktober 2008 die Ungültigkeit dieser Bestimmungen feststellte (4 B 348/08 HAL), soll der Verband auch noch im Jahre 2009 Bescheide auf der Grundlage der nichtigen Satzung verschickt haben. Ein Betroffener klagt nun auf rückwirkende Erstattung der Beträge.
Gerichtssprecher Albrecht macht nicht viel Hoffnung. Wer den fehlerhaften Bescheid in der Vergangenheit nicht angefochten habe, werde nicht mit einer Erstattung rechnen können. Denn - man höre und staune - das "sei auch eine Frage der Rechtssicherheit."

Rechtssicherheit gibt es wohl demnach nur für die Verbände, nicht aber für die Bürger. Denn bekanntlich hat die Justiz keinerlei Problem damit, den Verbänden das Recht einzuräumen, längst rechtskräftig gewordene Bescheide auch nach Jahren und Jahrzehnten nochmals aufzugreifen und Beiträge nachzuerheben, wenn festgestellt worden ist, dass die Berechnung der Abgaben ursprünglich zu gering ausgefallen ist. Mehreinnahmen muss der Verband hingegen nicht zurückerstatten, da hier nun auf einmal (und nur hier) das verfassungsrechtlich geschützte Institut der "Rechtssicherheit" und die Rechtskraft der Bescheide entdeckt wird. Die Nonchalance dieser einseitigen Betrachtungsweise wird zunehmend ärgerlich und ist dem natürlichen Rechtsempfinden der Bürger nicht mehr zu vermitteln.

Restskrupel sind bei einigen Gerichten durchaus noch vorhanden. So schrieb das OVG Thüringen in einer Entscheidung vom 28.08.2008 (- 4EO 405/08 -):

"Der Senat verkennt dabei nicht, dass in einigen Fällen zwischen der vom Normadressaten erwarteten Möglichkeit, dass der Aufgabenträger ihm gegenüber einen Bescheid erlassen könnte, und dem tatsächlichen Ablauf der Verjährungsfrist erhebliche Zeitspannen liegen können, welche die reguläre Verjährungsfrist bei weitem oder sogar mehrfach überschreiten. Er hat daher die Frage, ob diese Vorschrift verfassungsrechtlich bedenklich sein könnte, zwar schon früher erwogen [...] hat [...] jedoch keine stichhaltigen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit, erst recht keine von solchem Gewicht, dass sie im summarischen Eilverfahren entscheidungserheblich werden könnten." Und weiter:

"Auch der Sache nach ist in einer späten Beitragserhebung keine grobe Unbilligkeit zu erkennen. Denn es wird in aller Regel so sein, dass zwar die Maßnahme längere Zeit zurückliegen mag, dass aber der auf Dauer vermittelte Vorteil, dessentwegen der Beitrag erhoben wird, noch weit in die Zukunft reicht."

Mit anderen Worten: Die Skrupel werden im Keim erstickt, denn der Bürger habe ja auch einen "in die Zukunft reichenden Vorteil". Bei Rechtsverhältnissen also, die in die Zukunft wirken, sind dann weder die Grundsätze der Bestandskraft von Bescheiden noch die allgemeinen Verjährungs- oder Verwirkungsgrundsätze anzuwenden. (Von diesem erstaunlichen Gedanken findet sich jedoch nichts im Gesetz).

Geht es hingegen darum, dass Verbände sich in der Vergangenheit zu Lasten der Bürger zu Unrecht bereichert haben, dann gestehen die Gerichte den Verbänden die Dauerhaftigkeit dieser Bereicherung mit dem formellen Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheides und mit der neuentdeckten Wichtigkeit des Prinzips "Rechtssicherheit" zu. Die Widersprüchlichkeit dieser Argumentation ist mit den Händen zu greifen und es bleibt zu hoffen, dass die Verwaltungsgerichte sich irgendwann einmal zu einer "ausgewogenen" Betrachtung der Problematik durchringen werden. Auch Bürger haben einen Anspruch auf Rechtssicherheit, einem der ganz elementaren rechtsstaatlichen Prinzipien, nicht nur die Verbände.

Wolf-R. Beck

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