Artikel vom 30.07.2009




Fremdwasser ist Wasser, das beispielsweise als Grundwasser, Dränagewasser oder Oberflächenwasser in die Kanäle einsickert oder auch als Regenwasser illegal von Nutzern in die Schmutzwasseranlage eingeleitet wird. Unterschätzt wird dabei auch oft der Anteil des Oberflächenwassers, der über die Lüftungsöffnungen der Schachtabdeckungen in die Kanalisation unplanmäßig eintritt. Nach einer Untersuchung von Pecher werden hierdurch schon etwa 3- 9 % der versiegelten Flächen hierdurch entwässert (R. Pecher, „Fremdwasseranfall im Kanalnetz – ein wasserwirtschaftliches Problem? Korrespondenz Abwasser (45) Nr. 12).
Der gesamte Fremdwasseranteil in Klärwerken beträgt im Bundesdurchschnitt etwa 39 % (Hennerkes; Reduzierung von Fremdwasser bei der Abwasserentsorgung, Essen 2006, Dissertation, S. 39 m.w.N.). Das Problem ist demnach durchaus relevant.

“Ein hoher Fremdwasseranteil macht bei Pumpwerken im Kanalnetz die Installation von zusätzlichen Pumpen und damit auch einen größeren Baukörper erforderlich. Fremdwasser erhöht die Grundlast der Pumpwerke und führt zu höheren Bau- und Betriebskosten. Auf Kläranlagen bedingt Fremdwasser eine Vergrößerung von hydraulisch bemessenen Bauteilen und eine Erhöhung der Betriebskosten infolge zusätzlicher Pumpen, Räumeinrichtungen und vergrößerter Gebläseleistung beim Belebungsbecken." (Pecher a.a.O, S. 64)

Unbestritten ist, dass die Kosten für eine planmäßige Entsorgung – etwa des Oberflächenwassers über eine Mischkanalistation – kostenmäßig gesondert zu betrachten und aus der Schmutzwasserkalkulation herauszurechnen sind. Bei Trennsystemen besteht indessen das Problem darin, dass die gesonderte Schmutzwasserleitung eben gerade nicht planmäßig mit sonstigen Wasseranteilen besetzt werden soll, faktisch aber doch mit erheblichen Fremdwasseranteilen zu rechnen ist.

Die Rechtsprechung hat das Problem zunächst bagatellisiert. Mit Urteil vom 21.12.2005 (Az.: 5 K 4157/03) hat das VG Düsseldorf entschieden, dass eine Abwassergebühr grundsätzlich nicht deshalb rechtswidrig ist, weil in ihr auch Kosten für die Beseitigung von Fremdwasser enthalten sind. Nach dem VG Düsseldorf ist die Einleitung von Fremdwasser in das Kanalnetz zwar grundsätzlich eine Fehlnutzung der öffentlichen Abwasseranlage, denn diese habe eigentlich nur die Aufgabe, Schmutzwasser und Niederschlagswasser unter anderem von privaten Grundstücken zu entsorgen. Dieses bedeutet nach dem VG Düsseldorf jedoch nicht, dass Kosten für die Beseitigung von Fremdwasser überhaupt nicht über die Abwassergebühr abgerechnet werden können.

Zum einen weist das VG Düsseldorf darauf hin, dass die beklagte Stadt in ihrer Abwasserbeseitigungssatzung ausdrücklich die Einleitung von Fremdwasser (z.B. Drainage-/Grundwasser) von privaten Grundstücken in die öffentliche Abwasseranlage verboten hat. Deshalb sei in der Entwässerungsgebührensatzung auch keine Gebührenveranlagung für die Einleitung von Drainage/-Grundwasser vorgesehen. Trotz dieses Einleitungsverbotes für das sog. Fremdwasser könne die Stadt aber nicht ausschließen, dass dieses in die öffentliche Abwasseranlage eingeleitet werde. Dieses Fehlnutzungs-Risiko könne den Gebührenpflichtigen jedenfalls dann auferlegt werden, wenn die Kosten für die Fehleinleitungen geringfügig seien. Dieses sei dann noch der Fall, wenn - in Anlehnung an die Rechtsprechung des OVG NRW zur Bagatellgrenze bei Kostenüberschreitungen in der Gebührenkalkulation - die Kosten für die Beseitigung des Fremdwassers nur bis zu 3 % des Gesamtkostenvolumens ausmachen würden. Vor dem Hintergrund des erheblichen Ermittlungsaufwandes für die Gemeinden im Hinblick auf die Fälle an Fehlnutzungen überschreite aber auch erst ein voraussichtlicher Anteil von mehr als 10 % der Einleitungsfälle die Erheblichkeitsgrenze. Denn nach dem gebührenrechtlichen Grundsatz der Typengerechtigkeit dürften - so das VG Düsseldorf - bei der Regelung von Massenerscheinungen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität Sachverhalte typisiert und pauschaliert werden. Die dem dabei als Regelfall angenommenen Typ (hier = Nutzungen ohne Fehlnutzung) widersprechenden Ausnahmefälle (hier = Nutzungen mit Fehlnutzungen) dürften aber nicht die Grenze von 10 % übersteigen.
Bei der Nichtüberschreitung dieser Erheblichkeits-Grenze können nach dem VG Düsseldorf auch die Kosten für Fremdwasserzuflüsse und die hierdurch verursachten Kosten gebührenwirksam kalkuliert werden, denn sie würden durch betriebsbedingte Erschwernisse und deren wirtschaftliche Auswirkungen verursacht. Mit dem unbeabsichtigten Eindringen von Fremdwasser in den Kanal müsse außerdem aus technisch unvermeidbaren Gründen stets gerechnet werden und auch damit, dass die Menge des eindringenden Wassers einen erheblichen Anteil der zu transportierenden Gesamtwassermenge ausmache (vgl. hierzu auch OVG Schleswig, Urt. v. 04.05.2000 – Az.: 2 L 215/98). Da die beklagte Stadt sich durch ein Sanierungsprogramm zudem bemühe, den technischen Ursachen für den unabsichtlichen Fremdwassereinfluss in angemessener Weise entgegenzuwirken und die Fremdwassermengen im System zu mindern, könne ihr im Übrigen auch nicht der Vorwurf einer unwirtschaftlicher Betriebsführung gemacht werden.

Nach dieser Auffassung scheidet also die Gebührenfähigkeit des Mittransports von Fremdwasser erst dann aus, wenn sie auf einer unwirtschaftlichen Betriebsführung beruht.

Diese Auffassung kritisierte C o s a c k (KStZ 2006, S. 141 ff.). Das VG Düsseldorf wende hier „ungeniert den Grundsatz der Typengerechtigkeit auch im Bereich des Kostendeckungsprinzips an, um Fehlnutzungen in Form von Fremdwassereinleitungen zu rechtfertigen.“ Dieser Grundsatz diene aber nicht dazu, bereits bekannte Fehlkosten gebührenrechtlich zu rechtfertigen., sondern solle lediglich die Abgabenerhebung vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes handhabbar machen.

Auch das OVG Sachsen-Anhalt hielt noch im Jahre 2000 das Problem nicht für wirklich relevant. In der Entscheidung vom 07.09.2000 – 1 K 14/00 – hat es lediglich ausgeführt, dass Fremdwasseranteile dann unberücksichtigt bleiben müssen, wenn sie unter der Geringfügigkeitsgrenze liegen. Das war in dem dort entschiedenen Sachverhalt offenbar der Fall (Wörtlich: „Geht man mit dem Sachverständigen H. in seinem Gutachten vom 19. November 1999 (vgl. BA C S. 11) von einem Trockenwetterzulauf von 1.162,5 m³ pro Stunde, mithin 27.900 m3 Abwasser pro Tag, aus und stellt dem den im Gutachten der GmbH vom 22. Oktober 1999 ermittelten durchschnittlichen Fremdwasserzufluss von bis zu 320 m³ pro Tag gegenüber, so ist nicht mehr ersichtlich, warum sich die Mehrbelastung der Kläranlage mit einem Volumen von nur 1,15 v. H. kostenerhöhend auswirken soll, zumal der Antragsgegner plausibel dargelegt hat, dass die durch das Fremdwasser bewirkte Verdünnung des kommunalen Abwassers zu einer kürzeren Verweildauer der Abwässer in der Kläranlage führe.“) Wie zu entscheiden ist, wenn der Fremdwasseranteil die statistischen Durchschnittswerte erreicht, bleibt jedoch offen.

Ausführlich hat sich nun aber das VG Potsdam mit dieser Frage auseinandergesetzt (Urteil v. 18.09.2008 - 9 K 1128/05 -) und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass hier ein Sicherheitszuschlag für den Fremdwasseranteil mit 50 % (!) in der Beitragskalkulation aufwandsmindernd zu berücksichtigen sei, weil eine kostenmäßige Mehrbelastung der Beitragszahler, nur weil sich die Gemeinde oder der Zweckverband für das Trennsystem entschieden habe und damit zusätzliche Kapazitäten eingeplant werden müssten, nicht zu rechtfertigen sei.

Wörtlich führt das VG Potsdam aus:
„Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen kann den Beitragszahlern dieser Sicherheitszuschlag für das sog. Fremdwasser im Sinne einer anlagen- und kostenbezogenen Erforderlichkeit nicht zugerechnet werden, da sie die Gründe hierfür nicht zu vertreten haben. Denn undichte Stellen im Kanalsystem sind innerhalb der Gewährleistungsfristen vom bauausführenden Unternehmen auf dessen Kosten oder später zu Lasten des Gebührenhaushaltes zu beseitigen. Im Übrigen dürften Schmutzwasserbeseitigungssysteme im Freigefälle in Gegenden mit hohem Grundwasserstand aus wasserrechtlichen Gründen kaum genehmigungsfähig sein bzw. werden sie in diesen Bereichen im Drucksystem ausgeführt, bei denen schon wegen der Funktionsfähigkeit des Systems undichte Stellen unverzüglich beseitigt werden müssen. Der unerlaubten Einleitung von Drän- und Regenwasser ins Kanalsystem kann und muss mit entsprechenden ordnungsrechtlichen Verfügungen des Aufgabenträgers oder mit Bußgeldern begegnet werden. Und zu unerwünschtem Eindringen von Niederschlagswasser über die Schachtabdeckungen dürfte es eigentlich gar nicht kommen, da der Straßenbaulastträger über die ihm nach den Straßengesetzen obliegenden Unterhaltungs- und Verkehrssicherungspflicht von vornherein für eine ausreichende Regenentwässerung der Straßenfläche sorgen muss.
Aus den dargestellten Gründen ist der genannte „Sicherheitszuschlag“ von 100 % für den Fremdwasseranteil – bezogen auf den Gesamtaufwand - aufwandsmindernd mit 50 % zu berücksichtigen und als sog. Gemeindeanteil in die Beitragskalkulation des Schmutzwasseranschlussbeitrages einzustellen.“

Kritisch äußert sich fast gleichzeitig das VG Bayreuth (Urteil vom 10.12.2008 – B 4 K 07.423) zur Problematik. Es führt aus: „Das Argument, bei den auf die Fremdwasserbeseitigung entfallenden Kosten handele es sich nicht um betriebsfremde, sondern um betriebsbedingte Ausgaben, weil Fremdwasser jedem Entwässerungssystem zwangsläufig immanent sei und seine Mitentsorgung daher zu den allgemeinen Betriebskosten jeder Entwässerungsanlage gehöre, überzeugt unter den gegebenen Umständen nicht.“ Das Gericht hebt darauf ab, dass die Gemeinde trotz Kenntnis der Fremdwasserproblematik nicht alles Zumutbare unternommen habe, um den Fremdwasseranteil wirksam zu senken.

Im Verlauf des Rechtsstreits war eine Stellungnahme der Wasserwirtschaft eingeholt worden, die ergab, dass in Bayern mehr als 10 % der Entwässerungsanlagen einen Fremdwasseranteil von mehr als 50 % (!) aufwiesen. Das Gericht vertritt hierzu die Auffassung, dass bei einem solch hohen Fremdwasseranteil immer Handlungsbedarf bestehe. Hier könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Fremdwasseranteil als systemimmanent einzustufen sei.

Fazit: Das Problem ist bisher rechtlich noch nicht zufriedenstellend gelöst, zumal es von Politik und Justiz bisher erheblich unterschätzt worden ist. Möglicherweise zahlen die Bürger von Sachsen-Anhalt seit Jahren erhebliche Kostenanteile für solche Aufwendungen, die nicht im eigentlichen Sinne betriebsbedingt verursacht werden. Nimmt man aber das Kommunalabgabengesetz ernst, dann muss vor dem Hintergrund des verfassungsrechtliche geschützten Kostendeckungsprinzip der Begriff der betriebsbedingt entstandenen Kosten eng ausgelegt werden. Hinzu kommt ein nicht unwesentlicher Gesichtspunkt, auf den Cosack, verweist: Nach den §§ 18 b, 7 a WHG müssen Bau und Betrieb von Abwasseranlagen dem Stand der Technik entsprechen, der wiederum durch die einschlägigen Normen konkretisiert wird. Diese sehen vor, dass die Abwasserkanäle dauerhaft dicht sein müssen (DIN-EN 752-2, Ziff. 6 i; ATV-A 139, Ziff. 10.88). Es kann also nicht sein, dass die Folgen von Undichtigkeiten im Kanalsystem betriebsbedingte Kosten sind, wenn die Dichtheit der Kanäle geradezu als Stand der Technik vorausgesetzt wird.

Das VG Potsdam geht hier einen konsequent-mutigen Weg. Es bleibt abzuwarten, ob die obergerichtliche Rechtsprechung dem zu folgen vermag.

Wolf-R. Beck

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