Artikel vom 18.01.2011




Einer unserer wesentlichen, rechtsstaatlichen Grundsätze ist ein Prinzip das wir "Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" nennen. Es begegnet uns in zwei Ausgestaltungen:

1. Der sog. "Vorbehalt des Gesetzes" besagt, das die Verwaltung nur dann tätig werden und Sachverhalte entscheiden kann, wenn sie dafür durch ein Gesetz besonders und ausdrücklich ermächtigt wird.

2. Der "Vorrang" des Gesetzes" beinhaltet, dass die Verwaltung keine Anordnungen treffen darf, die dem Gesetz widersprechen. Öffentlich-rechtliche Normen stehen nach diesem Grundsatz nicht zur Disposition der Verwaltung.

Soweit so gut. Nun hat das Verwaltungsgericht Halle Recht gesprochen und durch mehrere Urteile vom 30.11.2010 (u.a. AZ 4 A 380/10) seine in einem früheren Urteil vom 10.03.2009 schon vertretene Rechtsauffassung nochmals bekräftigt, wonach das Gesetz den Verbänden keine Handhabe biete, die vom Land erhobene Abwasserabgabe für 2003 und 2004 auf die Kleineinleiter abzuwälzen. Für die fraglichen Jahre hätte diese Befugnis einzig und allein den Gemeinden, nicht aber den von diesen gegründeten Zweckverbänden zugestanden.

Diese Auffassung ist allen Zweckverbänden seit der früheren Entscheidung des Gerichts vom 10.03.2009, das im Übrigen rechtskräftig geworden ist, längst bekannt. Nach dem oben beschriebenen Grundsatz des "Vorbehaltes des Gesetzes" darf ein Zweckverband nach Auffassung des Gerichts also schon aufgrund der fehlenden Ermächtigung Abwälzungsbescheide gar nicht versenden. Es fehlt ihm schlicht die Zuständigkeit dafür.

Gerichte sind zur Auslegung der Gesetze berufen. Die im Grundgesetz verankerte Gewaltenteilung verbietet, dass die Verwaltung sich über die Köpfe der Gerichte hinweg durch Eigenauslegung der Normen ein "eigenes Recht" schafft. Nicht einmal der Landesgesetzgeber kann ein einmal von den Gerichten festgestellte Rechtslage durch eine "Eigeninterpretation" nachträglich verändern.

Das bedeutet, dass die Verbände und deren Geschäftsführung nun nach dem Prinzip des "Vorrangs des Gesetzes" eigentlich verpflichtet wären, keine Verwaltungsakte zu erlassen, welche dieser Rechtsauffassung des VG Halle klar und eindeutig widersprechen.

Gleichwohl tat der AZV Hettstedt genau dies und zwar vorsätzlich und nicht nur mit Billigung der Kommunalaufsicht sondern von dieser geradezu ermuntert. Aber sollte die Kommunalaufsicht nicht gerade Sorge dafür tragen, dass die oben genannten Verfassungsgrundsätze von den Verwaltungen eingehalten werden? Offenbar nimmt es dort nicht jenen verfassungsmäßigen Grundsätzen nicht so genau. Man war sich der Problematik bewusst, erklärte AZV Geschäftsführer Krieg und habe den Leuten sogar geraten, gegen die eigenen - vermutlich rechtswidrigen - Bescheide Widerspruch einzulegen. Nun kann man ja einwenden, die Auffassung des Verwaltungsgerichts Halle sei bisher noch nicht vom Oberverwaltungsgericht überprüft worden und es müsse den Verbänden ermöglicht werden, diese Frage höchstrichterlich und grundsätzlich klären zu lassen. Das könnte ja legitim sein, auch wenn man sich fragen muss, ob hier der Aufwand (17,90 € je Person für vergleichsweise wenige Einleiter im Verbandsgebiet, dass im Regelfall ohnehin schon zentral erschlossen ist) nicht ausser Verhältnis zum Ertrag steht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es der Landesregierung und den Verbänden ein Dorn im Auge ist, dass lästige Bürger mitunter Erfolg vor den Gerichten haben. Es muss dann ein Exempel statuiert und werden und hinter der landespolitischen Empörung über die Entscheidung eines Gerichts wabert hier Schatten des immer-recht-haben-wollenden Obrigkeitsstaates. Nicht legitim ist es jedenfalls, wenn dann mit dem Ziel höchstrichterlicher Klärung flächendeckend rechtswidrige Bescheide verschickt und gleichzeitig mit der klaren Ansage hinterlegt werden, dass nach einer endgültigen Entscheidung des OVG Sachsen-Anhalt nur diejenigen Betroffenen ggf. bewusst rechtswidrig erhobene Beträge zurückerhalten, die sich vor dem Hintergrund bestehender Kostenrisiken dafür entschieden haben, gegen die Bescheide Rechtsmittel einzulegen. Die anderen - Bescheide, gegen die kein Rechtsmittel eingelegt wurden, sollen dann trotz bewusster Rechtswidrigkeit unangetastet bleiben. Rechtsstaatlich vorbildliches Verhalten also??

Und der Petitionsausschuss??? Einer Bürgerin, die gleichzeitig mit ihrem Widerspruch eine Eingabe beim Petitionsausschuss versuchte, erhielt die erstaunliche Mitteilung, dass "das Vorgehen des AZV Hettstedt nicht zu beanstanden" sei. Denn das Verwaltungsgericht Halle verkenne hier die Möglichkeit der Aufgabendelegation. Die Begründung des Gerichts überzeuge den Ausschuss nicht, er schliesse sich der Auffassung der Landesregierung an, von der er sich in dieser Sache habe berichten lassen.

In einem Faltblatt zum Petitionsausschuss ist zu lesen:
"Soweit mit Petitionen ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit begehrt wird, werden diese nicht behandelt"
Wenn ein Bürger also die Änderung einer Entscheidung eines Gerichts begehren sollte, wird man sich damit nicht näher befassen. Respekt hat der Ausschuss also vor jenen Entscheidungen der Gerichte, welche nachteilig für die Bürger sind. Die mag man dann nicht mehr "anfassen".

Anders ist es aber offenbar, wenn die Politik oder die Landesregierung mit einer gerichtlichen Entscheidung nicht einverstanden sein sollte. Dann macht sich der Petitionsausschuss mit erstaunlicher Chuzpe zum Handlanger der Regierung und zeigt dem Bürger die lange Nase. Der Respekt vor dem Gericht ist dann kaum noch wahrnehmbar. Dem Bürger, der nichts anderes begehrt, als dass die Verwaltung eine gerichtlich ermittlte Rechtslage beachtet, wird die Tür vor der Nase zugeschlagen. Dabei sollte der Ausschuss doch genau in diesen Fällen für den Bürger da sein! Oder nicht? Wie heisst es so schön in jenem Faltblatt des Ausschusses: "Der Petitionsausschuss versteht sich als Vertreter gegen Ungerechtigkeit, Benachteiligung und ungleiche Behandlung durch staatliche Stellen des Landes Sachsen-Anhalt". Aha? Müsste er nicht also einschreiten, wenn kommunale Verwaltungen bewusst gegen gerichtlich ermitteltes Recht handeln?

Vielfache Erfahrungen zeigen aber leider, dass sich der Ausschuss stattdessen immer wieder als Vertreter der Politik der Landesregierung und als deren verlängerten Arm versteht. In der weit überwiegendenden Anzahl der Eingaben macht er sich schlicht die Auffassung der Landesregierung zu eigen, ohne weitere, eigene Recherchen anzustellen, was er durchaus könnte und wozu er auch verpflichtet wäre. Wir rufen die Bürger dazu auf, uns ihre eigenen Erfahrungen mit der Arbeit des Petitionsausschuss des Landes Sachsen-Anhalt mitzuteilen, um eine Dokumentation zur Arbeit des Petitionsausschusses in Sachsen-Anhalt zu erarbeiten. Im Hinblick auf die herannahenden Landtagswahlen dürfte es sich lohnen, einen Blick auf die Besetzung des Ausschusses zu werfen. Fragen Sie dann "ihren" Abgeordneten, welche Grundauffassungen er im Hinblick auf die Mitwirkung in diesem rechtsstaatlich so wichtigen Organ vertritt und womit Sie in Zukunft zu rechnen haben.

Wolf-R. Beck