Artikel vom 20.01.2016




Innenminister Holger Stahlknecht scheint sich an die Spitze der Bürgerinitiative in Wolmirstedt stellen zu wollen. In einer bemerkenswerten Mitteilung rief er am 11.01. in der "Volkstimme" dazu auf, Widerspruch gegen Abwasserbeitragsbescheide einzulegen.

"Gerade vor dem Hintergrund, dass der WWAZ finanziell solide aufgestellt ist, hätte der Verband sagen können, dass der Vertrauensschutz der Bevölkerung höher wiegt als die Beitragspflicht."

Diese Auffassung ist ebenso erstaunlich wie unrichtig.
Die aktuelle Rechtslage, welche letztendlich die Koalitionsparteien mit zu verantworten haben, gibt das nicht her.

Denn auch für den Herstellungsbeitrag II besteht für die Kommunen und Verbände eine Beitragserhebungspflicht.

Lediglich in begründeten Einzelfällen können auf der Grundlage von Billigkeitsvorschriften im KAG LSA Beiträge auf Antrag gestundet oder erlassen werden.

Die vom Innenminister kritisierte "Beitragsflut" ist das Ergebnis der Novelle des sachsAnhKAG vom Dezember 2014.
Danach soll eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen sein.
Gemäß § 18 Abs. 2 SachsAnhKAG endet diese Ausschlussfrist allerdings nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (Überleitungsregel). Diese Frist ermöglicht den Kommunen und Verbänden bis zum Ende des Jahres 2015 Abgabenforderungen noch für Maßnahmen zu realisieren, die bis zu 24,5 Jahre - also annähernd zweieinhalb Jahrzehnte - zurückliegen.

Vor dem Hintergrund des drohenden Ablaufs dieser Frist standen die Kommunen und Verbände unter - vorhersehbarem - erheblichem Druck. Die Kommunalaufsichten und die von der Landesregierung eingesetzten Task Force waren angewiesen worden, die jeweiligen Verbandsführungen anzuhalten, die Beitragserhebungspflicht zügig umzusetzen und Beitragsausfälle zu vermeiden.

Die Äußerung von Innenminister Stahlknecht muss also verwundern. Sie düpiert die nachgeordneten Behörden.

Offenbar verwechselt der Innenminister hier etwas. Tatsächlich haben die Verbände nach der Neuregelung des sachsAnhKAG die Möglichkeit, dann von einer Beitragserhebung abzusehen, wenn schon einmal für das betreffende Grundstück ein (zu niedriger) Beitrag festgesetzt wurde. Wenn aber erstmals ein Beitragsbescheid zugestellt werden soll, steht den Verbänden kein Ermessen zu. Diese Rechtslage entspricht dem politischen Willen der Koalitionsparteien, die es in der Hand gehabt hätten, die Novelle vom 17.12.2014 bürgerfreundlicher auszugestalten.

Die Landesregierung wirkt vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des BVerfG zur Rechtslage in Brandenburg und vor den herannahenden Landtagswahlen nervös. Innen-Staatsekretär Gundlach vertrat die Auffassung, dass das Urteil keinerlei Auswirkungen für die Rechtslage in Sachsen-Anhalt habe. Dagegen will der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Rüdiger Erben die Auswirkung der Entscheidung auch für Sachsen-Anhalt prüfen lassen. Er zweifelt ausdrücklich die Aussage von Prof. Gundlach an, dass es keinerlei Auswirkungen geben könne.

Geschätzt wird, bis zu 85.000 Beitragsbescheide für Altanschliesser landesweit versandt wurden.

Sie sollten bis zu einer verbindlichen Klärung der Rechtslage dem Rat ihres Innenministers Folge leisten und vorsorglich und fristwahrend Widerspruch gegen die zugestellten Bescheide einlegen.

Wolf-R. Beck

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