Artikel vom 01.09.2016






Das Bundesverfassungsgericht hält in seinem aktuellen Beschluss vom 21.07.2016 (- 1 BvR 3092/15-) an seiner Rechtsprechung zur Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit fest. Diese bekommt nun immer klarere Konturen.

Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Steueraufkommen und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm zwar ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbiete es, dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setze. Hier bezieht sich das Gericht auf die bekannte Entscheidung zur verfassungsrechtlichen Problematik des bayerischen Kommunalabgabengesetzes vom 05.03,2013 (vgl. BVerfGE 133, 143 <160 Rn. 46>). Diese Entscheidung führte dann zu den Änderungen der kommunalen Abgabengesetze in Sachsen-Anhalt und anderen Bundesländern.

Das BVerfG wies nun auf einen weiteren Gesichtspunkt hin: Weder unbegrenzte Festsetzungsfristen noch eine freie Verfügbarkeit der Finanzbehörden über deren Lauf stünden mit diesen Grundsätzen in Einklang.
Es könne nicht sein, dass die Finanzbehörde einseitig über den Lauf einer Frist - unabhängig von objektiv feststellbaren Kriterien verfügen könne. Nach Auffassung des BVerfG darf also ein Vorhabenträger es nicht einseitig in der Hand haben, den Lauf einer Frist -nach Belieben - in Gang zu setzen oder dauerhaft zu hemmen.

Im hier entschiedenen Verfahren ging es um die Verjährungsproblematik einer Steuerforderung. Insbesondere war zu prüfen, wie lange der Lauf der Verjährungsfrist bei Durchführung einer Außenprüfung durch das Finanzamt gehemmt war.

Die Durchführung einer Außenprüfung hemmt nach Maßgabe der in § 171 Abs. 4 Satz 1 AO beschriebenen Bedingungen den Ablauf der Festsetzungsfrist. Nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO endet die Festsetzungsfrist für Steuerbescheide spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Schlussbesprechung (§ 201 AO) stattgefunden hat, oder, wenn die Schlussbesprechung unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen verstrichen sind.

Im entschiedenen Fall war 1980 mit einer Außenprüfung begonnen worden. Bis 1995 erfolgten dann seitens der Finanzverwaltung keine weiteren Ermittlungshandlungen im Rahmen der Außenprüfung. 1995 wurde die Außenprüfung fortgesetzt. Die Schlussbesprechung fand Ende 1996 statt. Gegen die daraufhin ergangenen geänderten Steuerbescheide aus dem Jahre 1997 beschritt der Steuerschuldner erfolglos den Rechtsweg, wobei Verjährung eingewandt wurde. Der Bundesfinanzhof bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, dass keine Verjährung eingetreten sei.

Das Bundesverfassungsgericht pflichtete dieser Auffassung jetzt bei, denn der Steuerschuldner hätte auf die Durchführung der Schlussbesprechung verzichten und hierdurch die Verjährung selbst herbeiführen können. Er hatte also eigene Handlungsoptionen und war nicht einseitig von den Aktivitäten der Finanzverwaltung abhängig.

Durch einen Verzicht auf die Schlussbesprechung hätte der Steuerschuldner also den Eintritt der Verjährung herbeiführen und so eine überlange Festsetzungsverjährung vermeiden können.
Gegen den Willen des Steuerpflichtigen darf die Finanzbehörde keine Schlussbesprechung durchführen und kann so auch nicht den Fristlauf ab der letzten Ermittlungshandlung gegen den Willen des Steuerpflichtigen verhindern.

Es ist nach Auffassung des BFH auch nicht erkennbar, dass ein Verzicht auf die Schlussbesprechung für den Steuerschuldner mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre.

Nach Auffassung des BVerfG gibt es daher keine ernst zu nehmenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Es wäre allerdings - so das Gericht - mit den beschriebenen Grundsätzen von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz nicht vereinbar, könnte die Finanzverwaltung durch Hinauszögern der Schlussbesprechung den Ablauf der Festsetzungsfrist nach eigenem Gutdünken bestimmen und so letztendlich beliebig verlängern.

Eben DAS ist ja das bekannte Problem der Verjährungsproblematik im Beitragsrecht. Hier kommt es in aller Regel nicht auf besondere Mitwirkungspflichten des Beitragsschuldners an. Sondern es liegt allein der Hand der Aufgabenträger, wann sie die Beitragspflicht entstehen lassen und damit den Lauf der Verjährungs- und Ausschlussfristen in Lauf setzen.

So können die Aufgabenträger den Erlass von Beitragssatzungen ggf. um Jahre hinauszögern.
Selbst die nun neu eingeführte Ausschlußfrist des § 13 b KAG LSA knüpft bekanntlich an eine "Vorteilslage" an, die nicht näher definiert wird und die für den Herstellungsbeitrag II nach Auffassung des OVG LSA erst mit der "Widmung" der Anlage vorliegen soll.

Der aktuelle Hinweis des BVerfG könnte demnach dahingehend gedeutet werden, dass es dem Gericht entscheidend darauf ankommt, den Fristenlauf abzukoppeln von bestimmten Entscheidungen der Aufgabenträger. Auch das VG Magdeburg hat in seiner Entscheidung vom 13.04.2016 (- 9 A 105/14 MD-) schon auf das Problem hingewiesen und kam zu dem Ergebnis, dass der Fristenlauf jedenfalls nicht vom Erlass von Satzungen abhängig gemacht werden könne.

Nach unserer Auffassung deutet die neue Entscheidung des BVerfG darauf hin, dass die Anknüpfung der Ausschlussfrist an eine Vorteilslage in einen tatsächlichen Zusammenhang gestellt werden muss und nicht an rechtliche Voraussetzungen gebunden werden darf, deren Inkrafttreten allein in den Händen des Vorhabenträgers liegt. Ob vor diesem Hintergrund die Bestimmung des § 13 b KAG-LSA auslegungsfähig ist und der verfassungsrechtlichen Prüfung standhält, erscheint fraglich. Das Erfordernis der Widmung, welche das OVG LSA in ständiger Rechtsprechung entwickelt hat, dürfte in Bezug auf den Lauf der Ausschlussfrist nicht zu halten sein.

Wolf-R. Beck

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