Artikel vom 20.11.2020




Drei aktuelle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts konkretisieren und klären nun wichtige Streitfragen zur Rechtsprechung zur Problematik der Altanschließer.

1. Grundlegendes zum Umfang des Gestaltungsspielraums des Landesgesetzgebers

Verlangt das Landesrecht die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, durch Verjährungsregelungen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass solche Beiträge nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss. Es bleibt dem Gesetzgeber überlassen, wie er eine zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die den Grundsätzen der Rechtssicherheit genügt. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

Ob dieser Spielraum ermöglicht, dass der Gesetzgeber sich bei der Bemessung einer zeitlichen Obergrenze an der allgemeinen Verjährungsfrist von 30 Jahren orientieren dürfe, wurde vom BVerwG vertreten , in der Literatur aber teilweise kontrovers hinterfragt.

Das BVerfG stellt nun klar, dass seine früheren Ausführungen, wonach ein Zustand kritisch zu sehen sei, in dem die Verjährung „unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen“ könne , im Kontext der damaligen, konkreten Entscheidung zu lesen sei. Es sei hier keine absolute Obergrenze vorgezeichnet worden. Entscheidend sei, dass der Landesgesetzgeber überhaupt eine Obergrenze festlege.

Mit der Formulierung sei lediglich auf die potentiell unbegrenzte Dauer der Ungewissheit für Betroffene bei Sachverhalten hingewiesen worden, für welche der Landesgesetzgeber keinerlei Obergrenze festgesetzt habe. Dies begrenze seinen weiten Gestaltungspielraum beim Setzen solcher Obergrenzen jedoch nicht.

Ausdrücklich nimmt das BVerfG die gesetzlichen Regelungen in den Ländern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen Anhalt in den Blick.

2. Zur Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern (BVerfG, Beschluss vom 29.06.2020 - 1 BvR 1866/15 -)

Für Mecklenburg-Vorpommern ergebe sich aus § 12 Abs. 2, Satz 1, Halbsatz 2 KAG M-V a.F. zwar eine 18-jährige Zeitspanne, da diese Bestimmung vom Beginn des Eintritts der Vorteilslage bis zur möglichen Heranziehung zu Beiträgen bis zum 31. Dezember 2008 eine Beitragserhebung ermöglichte. Dieser Zeitraum halte sich aber im Rahmen des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums, der ihm im Bereich der Beitragserhebung zum Ausgleich von Vorteilen zukomme (BVerfGE 133, 143 <160 Rn. 46>).


3. Zur Rechtslage in Brandenburg (BVerfG, Beschluss vom 01.07.2020 - 1 BvR 2838/19-)

Auch die Regelung des § 19 Abs. 1 Satz 3 KAG Bbg sei verfassungsgemäß,, sowohl was die Hemmung der Verjährungsfrist infolge der Deutschen Einheit, als auch eine hieraus resultierende Maximalfrist von 25 Jahren anbelange.

Die Möglichkeit einer Beitragserhebung über insgesamt 25 Jahre halte sich in Anbetracht der Sondersituation der neuen Länder und angesichts des in die Zukunft fortwirkenden Vorteils eines Anschlusses an Trinkwasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungsanlagen nach Auffassung des BVerfG noch im Rahmen gesetzgeberischer Einschätzung .

4. Zur Rechtslage in Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 16.09.2020 - 1 BvR 1185/17)

Die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG Sachsen-Anhalt, die eine Inanspruchnahme bis zu 24,5 Jahren nach Entstehung der Vorteilslage ermöglichten, stünden in Einklang mit der Verfassung. Der Umstand, dass Übergangsfristen zu unterschiedlichen Höchstfristen führten, begründe auch keinen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot. Denn den Aufgabenträgern sei damit ein nicht zu beanstandender Zeitraum zugebilligt worden, sich auf die neue Rechtslage einzustellen und Altfälle erfassen zu können.

Damit ist diese Frage verfassungsrechtlich geklärt. Das BVerfG nimmt sich hier bewusst zurück und ermöglicht damit den Landesgesetzgebern sehr weitgehende, offene Gestaltungsspielräume. Sofern der Landesgesetzgeber sich überhaupt Gedanken um eine Fristenobergrenze gemacht hat, möchte ihm das BVerfG nicht in den Arm fallen, selbst wenn diese Fristen ausgesprochen lang sind und sich jenseits der sonst üblichen Verfristungsregelungen im Abgabenrecht bewegen. Die bisher zur Prüfung vorliegenden Fristen bewegten sich alle unter einer als allgemein geltenden Grenze von 30 Jahren. Es zeichnet sich klar ab, dass das BVerfG alle Fristen unterhalb dieser Grenzen als verfassungsgemäß betrachten wird.

Entsprechend plant der Landesgesetzgeber in Baden-Württemberg eine Änderung des dortigen KAG. Dort ist die Einführung einer zeitlichen Obergrenze von 20 Jahren zur Festsetzung von Anschluss und Erschließungsbeiträgen sowie sonstigen Abgaben zum Vorteilsausgleich anknüpfend an die jeweilige Vorteilslage vorgesehen , nach deren Ablauf eine Abgabenerhebung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Hiergegen dürften verfassungsmäßige Bedenken nun nicht mehr bestehen.

Wolf-R. Beck